Dienstag, 13. November 2018

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert




Liebe SPD,

vor acht Jahren sind wir bei Dir eingetreten, weil du für uns – gerade mit Blick auf Deine Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – das Versprechen warst, dass jede und jeder aus dem eigenen Leben etwas machen kann. Leider können wir dieses Versprechen seit Jahren – vor allem im letzten Jahr – nicht mehr erkennen. Wir stellen uns die Frage, ob Du noch unsere Partei bist.

Wie sind wir an diesen Punkt gelangt? Uns fehlt der rote Faden in der politischen Arbeit der SPD. Es gibt keine Vision, die mit Deiner Politik verfolgt wird. Zu viele zentrale Fragen sind offen.

Für wen machen wir Politik? Wer ist unsere Zielgruppe?
Wie soll Bildung im 21. Jahrhundert aussehen?
Was bedeutet für uns Arbeit im 21. Jahrhundert?
Wie gehen wir mit der Digitalisierung um?
Wie gehen wir mit rechten Tendenzen in unserer Gesellschaft um? Tragen wir jede Asylrechtsverschärfung mit, die uns die Union in der Großen Koalition diktiert, weil sie vor der AfD einknickt und behaupten dann in Sonntagsreden, wir wären das Bollwerk gegen rechts? Oder sollten wir nicht viel eher echte Haltung zeigen, indem wir Politik mit Haltung machen?
Was ist unsere Vision von Europa? Wollen wir, dass die Politik der EU weiter von nationalen Regierungen dominiert wird, oder sollten wir uns nicht viel eher für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger und das Ende des Demokratiedefizits einsetzen?

Wirklich kompliziert wird es in unserer Beziehung aber, wenn es um den Umgang mit den katastrophalen Wahlergebnisse der letzten Jahre geht. Schlechten Ergebnissen folgen keine personellen und inhaltlichen Konsequenzen. Niemand übernimmt Verantwortung für Wahlergebnisse. Kein Mitglied in wichtiger Funktion hat den Mut, öffentlich auf neue Gesichter und Ideen zu setzen und innerparteiliche Veränderungen zu fordern. Alle kleben an ihren Stühlen, aber verstehen nicht, dass es diese Stühle ohne etwas Neues bald nicht mehr geben wird. Alle setzen darauf, dass die Wählerinnen und Wähler von alleine wiederkommen, ohne dass man selbst etwas dafür verändert, obwohl das seit Jahren offensichtlich nicht funktioniert.

Statt sich inhaltlich und personell neu aufzustellen, wird die Regierungsarbeit in der Großen Koalition über E-Mails an die Mitglieder und Social Media ständig als größter Erfolg präsentiert, obwohl die Ergebnisse eigentlich nur kleinste gemeinsame Nenner mit der Union sind. Andererseits bekommt man nach wichtigen Wahlen wie in Hessen keinerlei Informationen.

Für uns ist klar: Ohne Vision vom großen Ganzen bringt es nichts, nach jeder verlorenen Wahl zu fordern, die SPD müsse jetzt zur Sachpolitik zurückkehren. Die SPD muss sich selbst klarmachen, wofür und für wen sie Politik macht. Das muss besser heute als morgen geschehen. Ansonsten wird diese Partei – auch mit Blick auf unsere europäischen Schwesterparteien – bald keine Rolle mehr spielen. Es gibt keine Garantie auf einen Platz im Parteiensystem, nur weil wir die älteste Partei Deutschlands sind.

Wenn Du, liebe SPD, wieder eine Vision entwickelst und diese auch personell verkörperst (also frische Gesichter an Deine Spitze wählst, die nicht mit Schröder oder der GroKo in Verbindung gebracht werden), kannst und wirst Du Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, die Menschen wieder von Dir überzeugen und Mehrheiten für Dich erringen. Dabei solltest Du auch darauf verzichten, ständig Willy Brandt oder Otto Wels zu zitieren. Wir brauchen heute Politik für die Zukunft, nicht die Zukunftspolitik von früher.

Wenn das gelingt, sind wir davon überzeugt, dass Du auch wieder unsere Partei werden kannst.

Bettina und Jonas

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Über die Autoren:

Bettina Lanio (26) studiert Förderschullehramt, führte vier Jahre lang die Jusos Main-Taunus als Vorsitzende und war im Bezirksvorstand der Jusos Hessen-Süd. Heute ist sie einfaches Basismitglied der SPD.
Jonas Tresbach (26) studiert Kommunikationswissenschaft im Master, ist Stadtverordneter der Kreisstadt Hofheim am Taunus und war stellvertretender Vorsitzender der SPD Main-Taunus. Gemeinsam mit Bettina Lanio war er drei Jahre Vorsitzender der Jusos Main-Taunus.