Ein Gedankenspiel von Jonas Tresbach
Derzeit
sondieren so ziemlich alle im Bundestag vertretenden Parteien miteinander über
so ziemlich alle möglichen Koalitionen. Nebenbei wird auch immer wieder die
Möglichkeit einer Neuwahl des Bundestages ins Spiel gebracht. Der Autor wagt
ein Gedankenspiel und versetzen sich gedanklich in die Zeit der Neuwahl: Welche
Parteien würden von einer Neuwahl profitieren, welche durch eine solche
verlieren?
Die Ausgangslage
Als stärkste Fraktion im Deutschen
Bundestag scheitert die Union an der Regierungsbildung. Weder mit der SPD noch
mit den Grünen kommt sie überein. Ein rot-rot-grünes Bündnis kommt ebenfalls
nicht zustande. Deshalb einigt sich die Politik auf Neuwahlen zu einem
bestimmten Datum, Bundespräsident Joachim Gauck löst den Bundestag auf, Merkel
und ihr Kabinett bleiben geschäftsführend im Amt.
Gewinner der Neuwahl
Durch die anschließende Neuwahl
gehen folgende Gewinner hervor:
CDU/CSU
Den Christdemokratinnen und
Christdemokraten schadet die Neuwahl trotz der gescheiterten Regierungsbildung aus
mehreren Gründen nicht:
1. Der Union gelingt es, der Bevölkerung Glauben zu machen, das Nichtzustandekommen einer Großen Koalition liege an der SPD, da deren Mitglieder letztlich gegen einen Koalitionsvertrag abstimmen. CDU und CSU nehmen demnach von einem Nichtzustandekommen der Wunschkoalition der deutschen Bürgerinnen und Bürger keinen Schaden und können unter Umständen sogar davon profitieren.
2. Merkel ist in der Bevölkerung die unumstrittene Nummer 1 der Politik. Sie wird ihren Amtsbonus nicht innerhalb eines knappen Jahres verspielen (können).
3. Der deutschen Bevölkerung geht es im europäischen Vergleich relativ gut. Die Bürgerinnen und Bürger haben deshalb nicht den Mut, Veränderungen und die Realisierung neuer Ideen zu wagen. Deshalb wählen sie – von Angela Merkel weichgekocht und geblendet - das „Weiter-so“, ohne zu realisieren, dass dies Stillstand bedeutet.
Die Union bleibt klar stärkste Kraft im Bundestag, verfehlt aber erneut die absolute Mehrheit, da FDP und AfD in den Bundestag einziehen. Durch Stimmverluste an FDP und AfD landet die Union knapp unter 40 Prozent, was sie aber aufgrund vielfältiger Koalitionsmöglichkeiten gerne in Kauf nimmt.
AfD
Die Alternative für Deutschland
scheiterte mit 4,7 Prozent denkbar knapp an der Fünf-Prozent-Hürde und
verpasste somit den Einzug in den Deutschen Bundestag.
Die Neuwahl verhilft ihr aus vielerlei
Gründen zum Sprung über die fünf Prozent:
1. Der Frust über die etablierten Parteien in der Bevölkerung ist seit der Bundestagswahl und missglückten Regierungsbildung enorm gestiegen, weswegen die AfD als Protestpartei Stimmenzuwächse verbuchen kann.
2. Die Wahlbeteiligung sinkt insgesamt, die Wählerinnen und Wähler der AfD aber gehen zur Wahl.
3. Die Neuwahl findet aus Kostengründen zeitgleich mit der Europawahl am 25. Mai 2014 statt. Die AfD, die den Austritt Deutschlands aus dem Euro fordert, bedient sich im Wahlkampf eines Euro-Populismus, der aufgrund der zeitgleich stattfindenden Europawahl in der Bevölkerung auf breite Zustimmung trifft.
4. Einige Wählerinnen und Wähler, die bei der letzten Wahl noch die Union wählten, sind verärgert über die Zugeständnisse der Union an die SPD während der Koalitionsverhandlungen. Sie kehren der Union den Rücken zu und wählen die rechte AfD.
Die Alternative für Deutschland schafft den Einzug in den Bundestag als fünftstärkste Kraft.
FDP
Die FDP musste sich nach der Wahl mit
4,8 Prozent das erste Mal seit dem Bestehen der BRD aus dem Bundestag
verabschieden. Trotzdem sitzen einige Ministerinnen und Minister weiterhin
geschäftsführend im Kabinett von Angela Merkel. Die FDP hat sich in der
Öffentlichkeit immer wieder für eine Neuwahl stark gemacht.
Durch die Neuwahl schafft die FDP
den Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag aus zweierlei Gründen:
1. Die Parteispitze wurde ausgetauscht. Brüderle, Rösler und co. legten ihre Ämter nieder. Die Bürgerinnen und Bürger akzeptiert Lindner, Kubicki und Beer in höherem Maße als ihre Vorgängerinnen und Vorgänger.
2. Genügend ehemalige Wählerinnen und Wähler der Union schenken der FDP ihre Zweitstimme, obwohl sie der Union inhaltlich näher stehen. Die Zweitstimmen-Kampagne der FDP funktioniert.
Die FDP schafft knapp den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde und wird sechststärkste Fraktion im Deutschen Bundestag.
DIE LINKE
Die Linke wurde bei der
Bundestagswahl zum ersten Mal drittstärkste Kraft. Sie profitiert von der
Neuwahl insofern, als sie kein schlechteres Ergebnis einfährt als bei der
letzten Wahl und drittstärkste Fraktion
bleibt.
Verlierer der Neuwahl
Durch die anschließende Neuwahl
gehen folgende Verlierer hervor:
SPD
Die Führung der Sozialdemokratie
erarbeitete einen Koalitionsvertrag mit der Union, welcher von der Basis der
SPD in einem Mitgliederentscheid mehrheitlich abgelehnt wurde. Die Parteispitze
tritt nach dieser parteiinternen Wahlniederlage von ihren Ämtern zurück. Die
SPD beginnt, sich rundzuerneuern. Neue Parteivorsitzende wird Hannelore Kraft,
Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen.
Die Neuwahl schadet den Genossinnen
und Genossen aus mehreren Gründen:
1. Die Union wird der SPD die Schuld des missglückten Koalitionsschlusses in die Schuhe schieben und damit bei der Bevölkerung Erfolg haben, wodurch sich einige Wählerinnen und Wähler von der SPD abwenden werden.
2. Die Runderneuerung der Partei ist noch lange nicht abgeschlossen. Die vorhandenen Strukturen reichen noch nicht, für einen Wahlkampf, welcher der amtierenden Kanzlerin wehtun könnte.
3. Die SPD findet in der Kürze der Zeit keine Spitzenkandidatin/ keinen Spitzenkandidaten, der Merkel das Wasser reichen kann. Hannelore Kraft, welche dazu am ehesten in der Lage wäre, ist in Nordrhein-Westfalen gebunden, will keinen Wortbruch begehen und bleibt Ministerpräsidentin ihres Landes.
4. Einige linksorientierte Wählerinnen und Wähler verübeln es der SPD, dass sie trotz einer linken Mehrheit im Bundestag jegliche Gespräche über ein rot-rot-grünes Bündnis abgelehnt hat und stattdessen ein Regierungsbündnis mit der Union versuchte. Sie wandern ab zur Linken.
Die SPD verliert trotz ihres linken Programms, das eine klare Alternative zu dem der CDU darstellt, weiterhin Stimmen und landet knapp über 20 Prozent. Im Sechs-Parteien-Parlament reicht es erneut nicht für eine rot-grüne Koalition.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Grünen fuhren bei der
Bundestagswahl mit 8,4 Prozent ein unerwartet schlechtes Ergebnis ein. Sie
läuten nach der Wahl einen Neuanfang ein und versuchen vergebens eine
Regierungsbildung mit der Union.
Die Neuwahl schadet den Grünen, da viele urgrünen Wählerinnen und Wähler (Fundis) enttäuscht sind, dass sich die Partei als Steigbügelhalter für die Union verkaufen wollte. Sie wandern mehrheitlich zur Linken und SPD ab.
Die Grünen bleiben knapp vor der AfD viertstärkste Fraktion im Bundestag.
Folgen der Neuwahl der Bundestagswahl
Der neue Bundestag wird ein
Sechs-Parteien-Parlament, weshalb es weder eine schwarz-gelbe noch eine
rot-grüne Mehrheit gibt. Auch für ein rot-rot-grünes Bündnis gibt es keine
Mehrheit mehr. SPD, Grüne und Linke haben es versäumt, gemeinsam Merkel als
Kanzlerin abzulösen. Merkel bleibt Kanzlerin einer schwarz-gelben
Minderheitsregierung, toleriert durch die AfD. Die AfD erweist sich als harter
Gesprächspartner und ringt schwarz-gelb mehrere Zugeständnisse ab. Deutschland
tritt aus dem Euro aus und stellt den Frieden in Europa auf eine harte Probe.
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